08.03.2008

Die Blödköpfe

An sich ja eine alteingesessene Institution und ehemaliger Fischereiverein ist die Kirche heute eine sozial engagierte Organisation.
…Eigentlich…
…Theoretisch…
Gut an der Basis ist sie das auch, nur wird es doch irgendwie immer unsozialer, je höher man guckt.
Ich weiß nicht, was man neuerdings machen muss um da aufgenommen zu werden, doch nach Qualität wird da wohl niemand bewertet oder bezahlt.
Ich persönlich sehe mich nach wie vor als gläubigen Christen an, doch was einem manchmal in der Kirche geboten wird…
Und die Herren und Damen haben ja auch ne Erklärung: „Für die viele Arbeit wird man nicht genug bezahlt.“ !
Also unter uns: Wenn das denen nicht genug ist, machen wir das einfach wieder so, wie es vor Jahren gewesen ist.
Jeder Pastor kriegt ein Stückchen Land zum bewirtschaften und dazu den 10ten.
Da heißt es dann wohl „um sein Leben predigen“.
Dann sind die Kirchen wieder voll oder die Herren Geistlich verhungert.
Auf Anhieb kenn ich einige Pastoren, die mit Sicherheit in Luxus leben werden.
Leider auch sehr viele, die keine gute Predigt zusammenkriegen würden, um ihr Leben zu retten.
Toll sind hierbei die älteren Gemeindemitglieder, die dann so Sachen meinen wie: „Och heute war er eigentlich noch ganz gut.“
Wenn DAS gut war, was ist dann an Tagen, wo er nur mittelprächtig drauf ist?! Oder gar schlecht?
Wobei das ja noch geht!
Denn je höher man guckt, umso krasser fallen die Schlechten Tage aus!
So gesehen auf einer Beerdigung eines Bruders vor einigen Wochen.
Da ich gefühlsmäßig involviert war, bin ich wahrscheinlich nicht objektiv, aber was der Herr Blötkopf da gebracht hat, war einfach nur schlimm.

Im nachfolgenden Text wurden Namen und Bezeichnungen verändert.
Tonaufzeichnungen wurden nicht nachgesprochen, da es keine gibt.


Es fing damit an, dass die Beerdigung für besagten Herrn Blötkopf um einige STUNDEN verschoben werden musste, damit er vorher noch seine Termine einhalten kann.
Meine Reaktion war: „Dann kommt er halt Später und sagt nur kurz was, wenn er überhaupt was sagen muss.“
Meiner Meinung nach war der Herr Blötkkof nämlich auch ein gutes Stück am tödlichen Herzinfarkt des Bruders beteiligt, weswegen ich ihn schon vorher nicht mochte.
Und wegen der Tatsache, dass ich ihn Schon hab arbeiten sehen und dass Gefühl hatte, dass wir Bauernpöbel auch ruhig gehen könnten, da er und seine Kirchenmenschen das auch allein hinbekämen.
Sagen wir einfach, er war mir nicht übersympathisch.
Am Tag der Beerdigung war ich dann ne halbe Stunde früher da, um noch einen Platz zu bekommen, denn der komplette Landkreis war wohl da.
Es dauerte eine Weile, doch dann waren alle da, Beate neben mir sitzend und mein Vater vorne bei den Brüdern sitzend.
Dann kam Blötkopf.
Aus der ursprünglich kurzen Rede und dann den Anderen das Feld überlassen wurde dann doch (oh Wunder!) eine „One-and-a-Half-Men-Show“, bei der Herr Blötkopf sich wohl dachte, er müsse die Gemeinde bestmöglich da abholen, wo sie steht.
Dummerweise war die Gemeinde in Trauer und nicht anwesend, um mit ihm eine „Philosophie-Literatur-Analyse-Stunde“ zu verbringen.
Dummer kleiner Patzer.
Kann ja jedem passieren.
SO WAS INKOMPETENTES!!!
Wie konnten wir als Publikum nur so doof sein?!
Wie konnten wir nur trauern, wenn doch der Herr Blötkopf im Raum war?!
Der Mann ist doch der pure Sonnenschein!
Also wirklich!
So ein undankbares Publikum!
Aber Herr Blödkopf wäre nicht Herr Blödkopf, wenn er nicht auch schnell improvisieren könnte.
Er war ja tatsächlich zu einem Trauergespräch im Haus des Toten gewesen.
Da hatte er ja so ein paar Bilder gesehen… Kanufahren musste wohl ein Hobby gewesen sein.
Und dann hat er noch mit der Mutter Bilder angeguckt, auf denen der Verstorbene mit seiner Schwester zu sehen war.
Das hat Sich der Herr Blötkopf gemerkt.
Auch, dass der Tote ne Mutter, ne Frau und zwei Töchter hat.
Und da war noch was mit der weißen Flotte… Irgend ne Bruderschaft, bei der der den Vorsitz hatte.
Irgendwoher kannte er den Toten doch auch…
Ach ja!
Er hat ihm ja vor Jahren das Gehalt halbiert, weil er ne Pastorin geheiratet hat.
Stimmt ja.
Ja, was verliebt der sich denn auch!
Liebe!
SOWAS geht ja nun wirklich nicht!
Und dann verhielt der sich immer, als ob diese „Liebe“ ein christlicher Grundgedanke wäre!
Das wär ja noch schöner!
Nee, da musste man was gegen machen.
„Versetzen wir ihn in die große Problemgemeinde. Dann kann er seine Frau und Kinder mitnehmen und wird ganz schnell ganz Kleinlaut“
Tja, offensichtlich hatte der Mann seine Lektion einfach nicht lernen wollen.
Da versetzt man ihn schon in das Dorf mit den brennenden Mülltonnen und der verbessert da das Klima!
Was soll DAS denn?!
Der soll kaputt gehen und nicht verbessern!
Und nun ist der auch noch tot und die nehmen ALLE Anteil!
Scheiße.
Selbst wenn der draufgeht vereint der noch Leute…
Mit Trauer… die kommt von Liebe kommt…
Schon wieder diese Liebe.
Die Menschen sollen nicht lieben, die sollen GLAUBEN!
DAS ist doch der Grundsatz von Kirche!
Aber von den gedanklichen Abschweifungen, die ich hier für andere mache, zurück zu der Predigt:
Herr Blötkopf dachte sich wohl, er könne einfach seinen Originaltext weiterlesen und dann immer mal wieder die Familie und Bruderschaft einwerfen, dann merkt es ja keiner.
Interessanter Ansatz, der nur nicht bei jedem funktioniert.
„Wenn ich an den Verstorbenen denke, fällt mir ein Text von Herbert Breitenflöter ein, den er nach einem langen und rebellischen Leben geschrieben hat, als er im Alter die Demut gelernt hatte.
Diesen Text werde ich Ihnen nun vorlesen und analysieren…“
An dieser Stelle setzte dann mein Gehör aus.
Dann sei auch DU demütig und räum die Kanzel!
Ich lehr dich gleich mal Demut!
Das ist ja ungeheuerlich!
Welchen Gegenstand kann ich ihm an den Kopf werfen?
Nie sind Kastanien zu finden, wenn man sie braucht!
Ab einem gewissen Zeitpunkt konnte ich diese Bemerkungen nicht mehr nur innerlich machen und erfreute somit die Umsitzenden damit.
Ich glaub, der Herr aus dem Oberkirchenrat, der neben mir saß, hätte mich stellenweise gerne wegen Häresie angeklagt, doch in Anbetracht der Beerdigung war er dann doch gnädig.
Nach gefühlten 48 Stunden war Blötkopf dann fertig mit damit uns zu demonstrieren, dass er den Bruder nicht gekannt hatte.
Hätten Blicke töten können, wäre es wahrscheinlich zu einer Doppelbeerdigung geworden.
Andererseits hätte ich meinem Bruder das nicht antun wollen.
Hätte ich allerdings in diesem Sarg gelegen, hätte man das Rotieren wahrscheinlich gut hören können.
Noch wahrscheinlicher wäre ich rausgekommen und hätte Blötkopf eine gehauen.
„Und DAS ist für die Predigt!“ KAPOW!
Dann ging es zum Grab.
Blötkopf machte schnell und verzog sich dann.
Entweder hatte er noch einen Termin oder er hatte irgendwie mitbekommen, dass ich dabei war einen Lynchmob zu organisieren.
Es ging dann unter Gesängen der Brüder zum Grab, wo Beate und ich unsere Blumen auf den Sarg warfen.
Man muss ja dann meist auch was sagen und ich weiß dann meistens nicht, was da grad angemessen ist.
In diesem Fall war es einfach: „Tut mir leid, was der Typ da verzapft hat.“
Wir stellten uns dann noch zu den Brüdern und sangen eine Weile.
Dann ging es ins Gemeindehaus, wo wir noch einige Zeit verbrachten und Geschichten von früher erzählten.
Irgendwann ging es dann nach Hause und wir waren wieder unter uns mit den Gedanken und dem Wissen, dass die Welt wieder ein gutes Stück dunkler geworden ist.

Gewidmet unserem Bruder Andreas, den wir alle vermissen

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