05.07.2007

Die Fahrt - Tag 4.1

-Warnung-

Dies ist der Teil über Theresienstadt.

Ich habe mich entschlossen diesen Teil der Klassenfahrt gesondert zu schreiben, da er ziemlich bedrückend war und der Rest des Tages direkt dahinter irgendwie makaber aussieht.

Deswegen wird Terezín hier gesondert dargestellt.

Wer eher etwas Netteres möchte, der sollte das hier nicht lesen.

Terezín

Morgens ging es früh los.

Wir standen schon alle draußen und wollten fahren, als einigen Lehrern auffiel, dass einige wenige Schüler sich „ein wenig“ zu aufreizend gekleidet hatten (es war den Temperaturen entsprechend, aber vielleicht tatsächlich etwas kurz für ein Internierungslager).

Dementsprechend waren wir dann doch wieder einen Tick zu spät dran.

Im Prinzip hätte das aber auch keinen Unterschied gemacht, denn schließlich hatten wir ja immer noch Mert, der, wie immer, für Verspätung sorgte.

Naja, so kamen wir jedenfalls fast pünktlich auf einem Parkplatz neben einer großen Festung an, vor der ein riesiges Grabfeld, mit einem Kreuz und einem David-Stern lag.

Mein erster Gedanke: „Hmm, das wird wohl das Lager sein.“

Mit meiner Meinung war ich unglücklicherweise allein.

Wir waren gerade 5 Minuten da (Frau M war damit beschäftigt mit einer Mitschülerin, die partout nicht mit wollte, zu reden), als Frau T-V auf die Idee kam, mit ihrem Teil der Gruppe „zum Lager“ zu gehen.

Verwirrenderweise gingen die allerdings in die entgegen gesetzte Richtung.

Nun, jeder kann mal Fehler machen und ich hatte offensichtlich einen Landhof, oder so, für ein IL (nicht KZ, weil es nur ein Internierungslager war) gehalten.

So gingen wir (meine Mitschüler, die Lehrer, meine stark angekratzte Omnipotenz und ich) dann hinterher.

Es ging dann über einen längeren Fußweg zu den Stadttoren, denn wir waren weiter außerhalb, als auf den ersten Blick zu erkennen war.

In anbetracht der Tatsache, dass wir an einen Ort des Todes gingen, konzentrierte ich mich auf die Architektur. Diese war sehr interessant, denn wie wir später herausfanden war Terezín vor seiner „Umfunktionalisierung“ bereits die mächtigste Festung (etwa 1790).

Die komplette Stadt ist praktisch Sternförmig gebaut, um möglichst viel Verteidigungsfläche und möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.

Für mich als Zeichner war die Architektur dementsprechend beeindruckend, weil es sie so in Europa kein zweites Mal gibt.

Dazu kommt die Modernisierung, bei der eine Teerstraße quer durch die Stadt, die Mauern und den umgebenden Fluss gelegt.

Die Verbindung von Alt und Neu schaffte es allerdings nicht den Beigeschmack des Leids und des Todes zu verdecken.

Frisch gestrichene Fassaden, leicht bröckelig, gute Straßen, einige Statuen.

All das hatte immer einen Hauch von Dunkelheit.

Ich weiß nicht, wie man das anders beschreiben kann.

Es war, als wäre da mehr, als gäbe es da noch eine zweite Ebene.

Da ich dummerweise zu den Menschen gehöre, die für so etwas aufnahmefähiger sind, als die meisten, war das natürlich schon ein merkwürdiges Gefühl.

Es war so ähnlich, wie im Krankenhaus: der Tod guckte einem immer irgendwie aus dem Augenwinkel über die Schulter.

Nach unserer „Tour de Terezín“ kamen wir dann endlich am gewünschten Museum an.

Ich konnte mich des Gedankens nicht erwähren, dass es sich hierbei nicht um ein IL, sondern um ein Museum handelte.

Etwas verwirrt trat ich also ein.

Mein Tschechisch ist nicht wirklich gut, und so konnte ich nicht wirklich verstehen, was die Dame am Empfang schimpfte, doch als sie dann mit English anfing, verstand ich endlich, dass wir erst das Internierungslager besuchen sollten und dann das Museum besichtigen könnten (also praktisch 2 in 1). Als uns dann auf einer Karte gezeigt wurde, wo das IL liegt, stieg mein Ego dann doch wieder in gewohnte Höhen.

Wir gingen also zurück.

Den ganzen Weg, bis zum Bus und dann weiter, am Grabfeld vorbei und in das IL (in das, welches ich von Anfang an für ein solches gehalten hatte).

Die ersten Eindrücke waren gemischter Natur:

Der Hauch von Dunkelheit war hier noch stärker. Ich war froh, dass es sonnig war.

Ganz schön makaber fand ich allerdings die Cafeteria in der alten Gefängnisküche.

Wir wurden in 3 Gruppen eingeteilt.

Da ich vom Prinzip her überall unterkomme, stellte ich mich einfach irgendwo dazu.

Nach einigen Umstrukturierungen hatten wir dann wohl 2 Gruppen á 30 und eine mit ca. 15 (gleichmäßig aufgeteilt). Nach einem weiteren bisschen Neuordnen waren wir dann gleichmäßig verteilt, und ich hatte sogar meine Bus-Gruppe wieder um mich (Anastasia, Meike, Marike, Max und Michi).

Unser Führer (Witze spare ich mir hier) war ein junger Mann namens Marik und so ging es dann los.

An den Meldehäusern vorbei, über die Exerzierplätze, in die Waschräume (die ihren Namen zu unrecht trugen), durch den Hinrichtungshof (der seinen Namen zu recht trug), durch die Tunnel und dann zum Lagerkino mit dem danebenliegenden Pool. Dieser wurde damals von den Offizieren genutzt, von Häftlingen gebaut und mit Blut eingeweiht.

Makaber.

Anschließend ging es ins Kino.

Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl auf den Stühlen zu sitzen, auf denen damals die Nazis ihre Propagandafilme gesehen haben.

Nach dem Film (eine Doku über Terezín) hatten wir einen gewissen bitteren Nachgeschmack im Mund

Ich dachte, es könnte nicht mehr schlimmer werden, doch dann ging es in den „Neubau“.

Dieser unterschied sich in so ziemlich Allem vom Rest der Festung.

Hässlicher NS-Baustil, modrig riechend, funktional widerwärtig, wie das 3. Reich.

Plötzlich hatte ich das Bedürfnis einem NS-Offizier vor die Füße zu spucken, schluckte es aber im wörtlichen Sinne herunter.

Das unterschwellige Wissen, dass etwas nicht in Ordnung war, war hier fast greifbar.

Die Sonne schien hell, nur wollte der weiß gekalkte Bau einfach nicht richtig warm wirken.

Weiße Betonbauten, überragt von einem Überwachungsturm.

Ein kalter Schauer rann mir über den Rücken, obwohl es eigentlich warm war.

Marik erklärte uns, dass es sich um ein umgebautes Bassin für Regenwasser handelte.

Wenn es also regnete oder verstopft war, sammelte sich alles in diesem Hof und in den 15-Personen-Zimmern, in denen meist 200 Menschen untergebracht waren.

Allein die Vorstellung sorgt bei mir dafür, dass ich erstmal kein Mikado mehr spielen kann.

Wem 199 andere zu viel waren oder wer wichtig genug war, der bekam ein Einzelzimmer. Die meisten hatten um die 5 m² und immerhin einen Essensschlitz, durch den man auch Luft bekam. Unpraktischerweise stopfte man da meistens 15 Leute rein und zu allem Überfluss war der Einzelzellentrakt eine Art Gewächshaus.

Die Menschen, die nicht erstickten, starben an der Hitze.

Frau V kam dann auf die Idee Anschauungsunterricht zu betreiben und so ging es dann zu 14. in so eine Zelle.

Als wir dann die Tür schlossen, waren wir definitiv nicht mehr allein.

Zu den Lebenden schien sich der Tod zu gesellen und er brachte ein paar Insassen mit.

In meinem Leben war ich mir noch nie so sicher, dass es keine gute Idee wäre, nun die Augen zu schließen.

Ich zwang mich den Blick zu fixieren.

Auf keinen fall eine Unschärfe im Augenwinkel lassen, aus der ich zu viel hätte sehen können.

Experiment beendet?

Gut.

Raus hier!

In meinem Kopf tanzten Bilder, die nicht meine waren.

Bilder von Dokumentationen, von Filmen, von vergangenen Leben?

Ich weiß es immer noch nicht (und will es glaub ich auch nicht wissen).

So ging es dann zurück.

Mich beschlich das Bedürfnis einen Spaziergang zu machen und so kam es mir genau richtig, dass es nun zum Museum gehen sollte.

Die Schüler waren entweder körperlich oder mental am Boden und wollten nicht mehr.

Die Lehrerschaft wollte das volle Programm (es war schließlich eine Bildungsreise) und so gingen dann ganze 5 Lehrer und 3 (!) Schüler zum Museum.

Das Museum baute nicht auf blinde Zahlen, sondern auf Einzelschicksale.

Es gab einen Raum, dessen Wände mit Namenstafeln von getöteten Juden verdeckt waren.

So viele Schicksale.

Gedichte von internierten Juden jeden Alters.

Ein Gedicht von einem Jungen, der im Winter die nähe seiner Mutter sucht, mit ihr redet und dann zum Schluss herausfindet, dass sie erfroren ist.

Ergreifend.

Lauter einzelne Menschen.

Ein Bild von einem Tal, in dem Juden zur Zählung zusammen gepfercht wurden.

Sie wurden im Unklaren gelassen, ob man sie nur zählte oder im Anschluss erschoss.

Panik in den Gesichtern einzelner.

So viele Einzelne.

Aus ihnen wurde dann wieder eine kaum vorstellbare Masse, doch eine mit Gesicht.

Keine Zahlen. Menschen.

Leben.

Organisierter Massenmord.

Nach dem Museum ging es dann zum Bus.

Ich hatte ein interessantes Gespräch mit Frau M, das mich von Emotionen abbrachte und wieder mein analytisches Hirn anstellte.

Am Bus angekommen stellten wir fest, dass die Schüler tatsächlich 1 ½ Stunden in der prallen Sonne verbracht hatten.

Sichtlich erleichtert stiegen sie dann alle in den Bus und es ging auf zum Schwarzmarkt.

Mehr davon gibt es dann irgendwann im richtigen Bericht zu Tag 4.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Schöner" Bericht. Ich habe das alles etwa genauso empfunden, mehr gibt's dazu nicht zu sagen, einfach ein guter Bericht!

Zeph hat gesagt…

Eigentlich hatte ich was intelligentes schreiben wollen, aber mir fehlen die Worte ....